§§ 133, 157, 315, 433 Abs. 2 BGB, §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 EnWG 2005, §§ 4 Abs. 1, 4 Abs. 2 AVBGasV 2005, § 5 Abs. 2 GasGVV a. F., Art. 3 Abs. 3 Anh A EGRL 55/2003
1. Den Vorschriften des § 4 Abs. 1, 2 AVBGasV und des § 5 Abs. 2 GasGVV a. F. kann ein gesetzliches Preisanpassungsrecht des Gasgrundversorgers für die Zeit ab dem 01.07.2004 – dem Ablauf der Umsetzungsfrist der Gas-Richtlinie 2003/55/ EG – nicht (mehr) entnommen werden, weil eine solche Auslegung nicht mit den Transparenzanforderungen des Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang A dieser Richtlinie vereinbar ist. Jedoch ergibt sich aus der gebotenen ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 157, 133 BGB) des Gaslieferungsvertrages, dass der Gasversorger Preiserhöhungen zwar nicht mehr in dem bisher nach den genannten Vorschriften der Gasgrundversorgungsverordnungen für möglich erachteten Umfang vornehmen darf, er aber berechtigt ist, Steigerungen seiner eigenen (Bezugs-)Kosten, soweit diese nicht durch Kostensenkungen in anderen Bereichen ausgeglichen werden, an den Kunden weiterzugeben, und dass er verpflichtet ist, bei einer Tarifanpassung Kostensenkungen ebenso zu berücksichtigen wie Kostenerhöhungen.
2. Diese ergänzende Vertragsauslegung gibt keine Veranlassung zu einer erneuten Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union zur Auslegung der oben genannten Transparenzanforderungen, da die insoweit entscheidungserheblichen Fragen durch das auf Vorlage des Senats ergangene Urteil des Gerichtshofs vom 23.10.2014 (EuGH, C-359/11 und C-400/11, NJW 2015, 849 – Schulz und Egbringhoff) bereits – im Sinne eines acte éclairé – eindeutig geklärt sind.
3. Für Gaspreiserhöhungen, die vor dem 01.07.2004 vorgenommen worden sind, bleibt es bei der bisherigen Rechtsprechung des Senats (siehe nur BGH, Urt. v. 13.06.2007 – VIII ZR 36/06, BGHZ 172, 315 Rn. 14 ff. und BGH, Urt. v. 19.11.2008 – VIII ZR 138/07, BGHZ 178, 362 Rn. 26), wonach § 4 Abs. 1, 2 AVBGasV ein Recht des Gasgrundversorgers zu entnehmen ist, die Preise nach billigem Ermessen (§ 315 BGB) zu ändern, und der demgemäß erhöhte Preis zum vereinbarten Preis wird, wenn der Kunde eine auf der Grundlage einer Preiserhöhung vorgenommene Jahresabrechnung akzeptiert hat, indem er weiter Gas bezogen hat, ohne die Preiserhöhung in angemessener Zeit gemäß § 315 BGB zu beanstanden (BGH, Urt. v. 09.02.2011 – VIII ZR 295/09, WM 2011, 1860 Rn. 41 m. w. N.). Dies gilt auch für den Fall eines durch privatrechtliche Gestaltung herbeigeführten faktischen Anschluss- und Benutzungszwangs (Bestätigung und Fortführung der BGH, Urt. v. 19.11.2008 – VIII ZR 138/07, BGHZ 178, 362, Rn. 18 bis 23; BGH, Urt. v. 08.07.2009 – VIII ZR 314/07, WM 2009, 1957, Rn. 17 und BGH, Urt. v. 26.09.2012 – VIII ZR 249/11, ZNER 2013, 44, Rn. 34 m. w. N.).
4. Angesichts der sich aus § 2 Abs. 1, § 1 Abs. 1 EnWG 2005 ergebenden Verpflichtung des Energieversorgungsunternehmens zu einer möglichst sicheren, preisgünstigen, verbraucherfreundlichen, effizienten und umweltverträglichen leitungsgebundenen Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas trifft den Versorger die Verpflichtung, die eigenen Bezugskosten im Interesse der Kunden niedrig zu halten; vom Preisänderungsrecht des Gasgrundversorgers sind daher (Bezugs-)Kostensteigerungen nicht umfasst, die er auch unter Berücksichtigung des ihm zuzubilligenden unternehmerischen Entscheidungsspielraums ohne die Möglichkeit einer Preiserhöhung aus betriebswirtschaftlichen Gründen vermieden hätte (Fortführung von BGH, Urt. v. 13.06.2007 – VIII ZR 36/06, BGHZ 172, 315 Rn. 27 und BGH, Urt. v. 19.11.2008 – VIII ZR 138/07, BGHZ 178, 362 Rn. 42 f.).
5. Zu den Anforderungen an den Vortrag und das Bestreiten sowie an die Feststellung von (Bezugs-)Kostensteigerungen des Gasversorgers (Fortführung von BGH, Urt. v. 19.11.2008 – VIII ZR 138/07, BGHZ 178, 362, Rn. 45 ff.; BGH, Urt. v. 08.07.2009 – VIII ZR 314/07, WM 2009, 1957, Rn. 21, 30 f.; BGH, Urt. v. 28.10.2015 – VIII ZR 158/11, ZIP 2015, 2226, Rn. 89 ff., und VIII ZR 13/12, juris, Rn. 91 ff.).
(Leitsätze des Gerichts)
BGH, Urt. v. 06.04.2016 – VIII ZR 71/10
vorgehend: EuGH, Urt. v. 23.10.2014 – C-359/11 und C-400/11
vorgehend: BGH, Urt. v. 18.05.2011 – VIII ZR 71/10 (EuGH-Vorlage)
vorgehend: LG Ravensburg, Urt. v. 25.02.2010 – 1 S 124/09
vorgehend: AG Ravensburg, Urt. v. 10.06.2009 – 10 C 1292/07
DOI: | https://doi.org/10.37307/j.2194-5837.2016.03.09 |
Lizenz: | ESV-Lizenz |
ISSN: | 2194-5837 |
Ausgabe / Jahr: | 3 / 2016 |
Veröffentlicht: | 2016-05-17 |
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